FREUD – Der Vorlesungszyklus (Semester 2)
In vier Semestern mit je rund 10 Vorlesungen widmet sich die Wiener Psychoanalytische Akademie ausschließlich dem Werk Sigmund Freuds, der zweifelsfrei zu den prägendsten Denkern des 20. Jahrhunderts zählt.
Dieser Zyklus ist ein Pflichttermin für alle, die tief in das Wirken des Begründers der Psychoanalyse eintauchen und dabei auch gesellschaftliche Kontexte im Blick behalten wollen.
Die Termine der Folgesemester werden jeweils rechtzeitig bekanntgegeben.
Semester 2: Sexualtheorie – Ödipuskomplex – Vatermord
Freud lauscht den Erzählungen seiner Patient*innen mit größtem Interesse. Unbedingtes Verständnis für sie und für alles, was sie bewegt, was sie fürchten, was ihnen Lust bereitet und wofür sie sich schämen, verschafft ihm nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch Einblick in ihre intimsten Phantasien. Er findet Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten, die ein grundlegend neues Verständnis von Sexualität nahelegen, und er behauptet, dass auch Kinder ausgeprägte sexuelle Empfindungen haben. So stellt Freud die psychiatrischen und sexualtheoretischen Konzepte seiner Zeit auf den Kopf und ruft dadurch einen handfesten Skandal hervor.
11. Vorlesung: 22. September (Georg Augusta)
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 1: Perversion, Autoerotik und erogene Zonen
Zunächst wirft Freud alle konventionellen Ansichten über die sogenannte Normalität um und zeigt eine durchgehende Entwicklungslinie zwischen der kindlichen (infantilen) Sexualität, der Neurose und der Perversion. Deren Grundlage, so behauptet er, sind kindliche Lusterlebnisse. Dadurch befreit er die Perversion ein Stück weit von ihrer „Abartigkeit“ und bringt sie in geradezu gefährliche Nähe zu dem, was man sich unter „normaler“ Sexualität vorstellt. Doch wie kam Freud darauf, so etwas zu behaupten? Wie entdeckte er die infantile Sexualität und was versteht er überhaupt darunter? Was bedeuten die Begriffe „erogene Zonen“ und „Autoerotik“? Auf welche Weise regulieren Ekel, Scham und Moral die Sexualität? Und wie hängen Verdrängung und Fixierung zusammen?
12. Vorlesung: 29. September (Georg Augusta)
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 2: Infantile Sexualität
Aus den Kindheitserinnerungen seiner Patient*innen erfährt Freud viel über die Wurzeln der infantilen Sexualität. Er differenziert verschiedene Entwicklungsphasen (oral, anal, genital) und entdeckt, dass sie den Charakter prägen, d.h. bestimmte Eigenschaften formen. Er beginnt zu verstehen, dass kindliche Sexualität viel weniger einheitlich ist als erwachsene Sexualität und unterscheidet daher verschiedene Arten des Lusterlebens: der Begriff „Partialtriebe“ ist geboren. Doch wie entsteht aus der Vielfalt der Partialtriebe die Sexualität der Erwachsenen? Und – was ist der Ödipuskomplex?
13. Vorlesung: 6. Oktober (Georg Augusta)
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 3: Pubertät
In der Pubertät wird die infantile nun zur individuellen, erwachsenen Sexualität ausgestaltet, und die körperliche Reifung schafft die Möglichkeit, genitale Sexualität und intime Beziehungen zu leben. Doch das bringt Komplikationen mit sich, und Freud kommt zu dem Schluss, dass Sexualität weit über körperliche Funktionen hinausgeht: Sexualität bedeutet eigentlich Psychosexualität. Das Schwierige jedoch ist: Autoerotismus und kindlicher Narzissmus haben Spuren hinterlassen – wir begehren nicht nur andere Menschen, sondern auch unsere Eltern und uns selbst. Auf welche Weise beeinflussen – und stören! – diese Leidenschaften einander? Welche Komponenten sind daran beteiligt, dass wir lieben und begehren können? Und welche Rolle spielt der Ödipuskomplex dabei?
14. Vorlesung: 13. Oktober (Ulrike Kadi)
Ödipus 1: Entdeckung
Freud hat eine Verliebtheit in seine Mutter und eine Rivalität mit seinem Vater in der eigenen (Selbst-)Analyse und auch bei seinen Patient*innen gefunden. Der Ödipuskomplex gilt ihm bald als Kernkomplex der Psychoanalyse. Von allem Anfang an verknüpft er die gleichermaßen erotischen wie aggressiven Erfahrungen des kleinen Kindes mit Motiven aus Sophokles’ Tragödie Œdipus Rex. Es dauert freilich noch mehr als zwei Jahrzehnte bis zur Formulierung des gesamten Konzepts, das Freud eng mit dem Kastrationskomplex verbunden sieht. Was motiviert Freud zur Auswahl des ästhetischen Materials?
15. Vorlesung: 20. Oktober (Ulrike Kadi)
Ödipus 2: Umarbeitungen
Den Ödipuskomplex sieht Freud auch in der Entstehung der Kultur am Werk. Infantil-perverse Strebungen gilt es für den einzelnen genauso wie für Kollektive unter dem Druck gesellschaftlicher Forderungen zu vereinheitlichen. Kulturell korrespondiert der Ödipusmythos mit dem Mythos der Bruderhorde und Freuds Überlegungen zum Inzesttabu. Die Verallgemeinerung des Ödipuskomplexes hat weitreichende Folgen. Sie lassen sich unter anderem an den zusätzlichen Fußnoten in späteren Auflagen verschiedener Schriften wie den Drei Abhandlungen ablesen. Welche theoretischen Umarbeitungen muss Freud im Gefolge seiner Einführung des Ödipuskomplexes vornehmen?
16. Vorlesung: 17. November (Ulrike Kadi)
Ödipus 3: Durcharbeitungen
Auch Freuds Schüler*innen beginnen, über die Konsequenzen des Ödipus-Konzepts zu diskutieren. Es werden frühe Formen des Ödipuskomplexes postuliert. Freuds eigener, männlich konnotierter Blickpunkt und die von ihm weniger thematisierte weibliche Sexualität geraten in den Fokus. Es kommen weit in andere Disziplinen reichende Fragen auf: Ist der Ödipuskomplex (schon) immer und überall, d.h. universell, geeignet, jede sogenannte „normale“ psychosexuelle Entwicklung zu illustrieren? Welche Spuren hat die zentrale Rolle der Kleinfamilie in Freuds Formulierungen hinterlassen? Die Geschichte des Ödipuskomplexes wird vom Anti-Ödipus begleitet.
17. Vorlesung: 24. November (Ulrike Kadi)
Jenseits von Ödipus und Post-Ödipus
Der Ödipuskomplex galt innerhalb der Psychoanalyse vielfach als notwendige Form einer (binär gedachten) geschlechtlichen Entwicklung. Doch braucht die aktuelle Bandbreite diverser Gestaltungen des Geschlechts nicht vor allem andere Konzepte? In aktuellen Diskussionen ist von einem Jenseits des Ödipus genauso die Rede wie von einer postödipalen Gesellschaft. Ist der Ödipuskomplex ein zeitgebundener Traum Freuds? Wie werden normierende und biologisierende Aspekte des Ödipuskomplexes heute gesehen?
18. Vorlesung: 1. Dezember (Andreas Mittermayr)
Erfolgreiche und erfolglose Vatermörder: Ödipus – Hamlet – Dostojewski
In seinen Schriften beschäftigt Freud der Vatermord seit der „Traumdeutung“, persönlich freilich schon deutlich länger. Das Thema reicht von der ersten Erwähnung der Ödipus-Sage und seiner Hamlet-Interpretation (1900) über die berühmte kulturtheoretische Schrift „Totem und Tabu“ (1912/13) bis hin zu „Dostojewski und die Vatertötung“ (1928) und zum „Mann Moses und die monotheistische Religion“ (in seinem Todesjahr, 1939, fertiggestellt). Der Vatermord bleibt für Freud Dreh- und Angelpunkt zum Verständnis der Entstehung von Kultur und Religion, Sittlichkeit und Gesetz. Er sieht in ihm auch die Quelle des Schuldbewusstseins und seines individuellen wie kollektiven Schicksals. Welches sind die prominentesten (erfolgreichen und scheiternden) Vatermörder im Werk Freuds und was lehren sie uns? Welche Folgen hat der Vatermord für Individuum und Kultur? Was leisten vor allem die Texte „Totem und Tabu“ und „Dostojewski und die Vatertötung“ für das Verständnis von Kultur und Vatermord? Und schließlich: Wo bleiben die Muttermörder*innen?
19. Vorlesung: 15. Dezember (Andreas Mittermayr)
Literatur der Psychoanalyse – Psychoanalyse der Literatur
Freud bediente sich recht ungezwungen und großzügig literarischer Texte von der Antike bis zur Gegenwart, um seine Theorien zu konzipieren. Die Literatur war ihm unerschöpflicher Fundus, diente als Quelle der Inspiration ebenso wie als Illustration seiner Thesen oder als deren Beleg. Die Dichter waren ihm „wertvolle Bundesgenossen“. Umgekehrt wird die Psychoanalyse recht früh für die Interpretation von Kunst und Künstler*innen sowie für die Erklärung der Schöpfungskraft, der Kreativität, herangezogen. Wie sehen Freuds Literaturanalysen aus? Wie bereichert die Psychoanalyse die Literaturwissenschaft? Was können wir von Freud über die Psychologie der Künstler*innen und den Prozess des Schaffens lernen? Und wie gelingt es ihm, seine Thesen durch literarische Beispiele plastisch zu machen?
20. Vorlesung: 12. Jänner (Andreas Mittermayr)
Das Unheimliche
Freuds Artikel über „Das Unheimliche“ (1919) ist besonders in den Kunst- und Kulturwissenschaften immer noch viel rezipiert. Der Text ist eine Literaturanalyse von E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ und gleichzeitig eine Abhandlung über einen äußerst merkwürdigen, jedoch uns allen bekannten Zustand: Das Unheimliche hat mit seinem Gegensatz, dem Heimlichen oder Heimeligen, mehr zu tun, als es zunächst scheint. Was ist es, das uns in der unheimlichen Erfahrung erfasst? Wie kann etwas Altbekanntes, Vertrautes zu etwas Unheimlichem werden? Spielt der Ödipuskomplex auch hier eine Rolle? Und was ist das Spannende an der Rezeptionsgeschichte dieses Textes?
Wir freuen uns auf ihre Anmeldung! | |
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Veranstalter: | Wiener Psychoanalytische Akademie (WPA) |
Zielgruppe: | Interessierte an Psychoanalyse |
Programmleitung: | Sabine Schlüter |
Referenten: | Georg Augusta, Ulrike Kadi, Andreas Mittermayr, Andreas Mittermayr |
Preis der Veranstaltung: | EUR 290,00 |
Reduzierter Preis: | EUR 145,00 |
Termine: |
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